Im zweiten Teil unserer dreiteiligen Blogreihe zum Thema Tokenisierung von Vermögenswerten beleuchten wir eine praktische Anwendung von Security Token Offerings in der Immobilienbranche. Der erste Beitrag hat in die komplexe Dynamik von Security Token Offerings (STOs) und die Blockchain-Technologie eingeführt. Der zweite Beitrag widmet sich konkreten Umsetzungsbeispielen und Nutzungsmöglichkeiten einer dedizierten Anlageform und legt den Fokus auf die Tokenisierung von Immobilien und Immobilienprojekten.

Immobilieninvestments als unerreichbares Ziel

Für viele Menschen stellen Investments in eine eigene Immobilie entweder als Eigenheim oder aber als Investmentobjekt aufgrund unterschiedlichster Faktoren ein weit entferntes oder gar unerreichbares Ziel dar. Allgemein gesprochen ist es für Kleinanleger im 21. Jahrhundert kaum mehr möglich eine Immobilie zu erwerben, da der Immobilienerwerb eine langfristige Kapitalbindung voraussetzt und ein Verkauf nur unter Inkaufnahme von Verlusten in kurzer Zeit erfolgt. Somit liegt das Kernproblem von Immobilieninvestments in ihrer Natur, der Illiquidität.

Immobilieninvestments stellen Kleininvestoren seit jeher vor eine Vielzahl von Hürden. Es gilt die Annahme, dass der Kleininvestor nicht in Gewerbeimmobilien, sondern in Wohnimmobilien investiert. Der Verkauf einer Wohnimmobilie in Deutschland – unter der Annahme einer durchschnittlichen Lage – dauert trotz Maklereinsatz zwischen sechs und zwölf Monaten, was zu einer zunehmend langen Halteperiode für Immobilieninvestoren führt.

Im Jahr 2020 betrug die durchschnittliche Pro-Kopf-Wohnfläche in Deutschland knapp 50 Quadratmeter (Gesamtheit der anrechenbaren Grundfläche der Räume, die ausschließlich zu einer Wohneinheit gehören). Bei einem bundesweiten durchschnittlichen Kaufpreis von 3.353 Euro pro Quadratmeter kann angenommen werden, dass Kleininvestoren im Schnitt einen Kaufpreis von 167.000 Euro bezahlen muss.

In einem Markt mit stetig steigenden Zinsen und der Voraussetzung eine Eigenkaptalquote von mindestens 20% bis 30% stellt sich die Frage wie sich ein durchschnittlicher Einkommensverdiener den Traum von der eigenen Immobilie erfüllen kann. Nachfolgende exemplarische Berechnung zur Investitionsfähigkeit einer durchschnittlichen deutschen Familie zeigt den Zeitumfang, um das erforderliche Eigenkapital aufbringen zu können. Unter der Annahme eines Gesamtbruttoeinkommens von knapp über 74.000 Euro wären mindestens sechs Jahre erforderlich, um eine Wohnimmobilie zu finanzieren, die eine Familie mit einem Kind behausen kann. Zusätzlich wären weitere 43 Jahre erforderlich zur vollständigen Tilgung des Kredites.

Ergänzend kommt hinzu, dass der deutsche Immobilienmarkt stark reguliert ist, was weniger sachkundige Kleinanleger erheblich abschreckt und psychologische Barrieren schafft.  So stellte das Statistische Bundesamt fest, dass sich 13% der in Deutschland lebenden Personen durch die Wohnkosten stark belastet fühlen. Darüber hinaus schrecken die deutschen Steuergesätze, wie zum Beispiel die zu zahlende Spekulationssteuer auf den Verkauf von Immobilen, welche weniger als 10 Jahre im eigenen Besitz waren (§22 und § 23 ESTG) unerfahrene Immobilieninvestoren ab.

Abbildung 1: Exemplarische Berechnung der Investitionsfähigkeit einer durchschnittlichen deutschen Familie

Das größte Problem für den deutschen Durchschnittshaushalt ist die Zeit, die benötigt wird, um Immobilienvermögen zu erwerben und ein sicheres Einkommen aus bzw. trotz der Investition zu erzielen. Obwohl Deutschland ein Land mit vergleichbar hohen Einkommen ist, vereinnahmen die umfangreichen Sozialausgaben einen erheblichen Teil des monatlichen Einkommens auf.

Alternative Investmentmöglichkeiten

Aufgrund der Probleme bei der Finanzierung bietet unser Finanzsystem (Klein-)Investoren unterschiedliche Möglichkeiten auf anderen Wegen im Immobilienmarkt zu investieren. Ein Investment in eines an der Börse gelistete Unternehmen (z.B. Deutsche Wohnen, Vonovia) kann dem Anleger die Möglichkeit offerieren in Immobilien indirekt zu investieren. Obwohl der Anleger durch seine Investition indirekt vom Wertzuwachs eines breit diversifizierten Immobilienportfolios profitieren könnte, fand das Handelsblatt heraus, das 86% aller befragten Deutschen, Investments in Aktien als zu risikobehaftet erachten. Aktien sind aufgrund des Mangels an Kontrolle seitens des Investors bei Kleinanlegern weniger beliebt. Der Investor kann keinen Einfluss auf die Entscheidungen des Managements nehmen und muss sich „blind“ auf deren Investmententscheidungen und Fähigkeiten verlassen.

Im Gegensatz zu Aktieninvestments, bietet ein geschlossener Immobilienfonds bietet Anlegern ein gewisses Maß an Transparenz und Kontrolle, da er zwar ein Exposé erhält, dieses aber nicht physisch einsehen oder entscheiden kann in welche Objekte sein Geld investiert wird. Zusätzlich erfordern geschlossene Immobilienfonds eine lange Halteperiode, da sie im Gegensatz zu Aktien nicht fungibel (austauschbar und handelbar) sind. Aus diesem Grund eignen sich auch geschlossene Immobilienfonds für den Großteil der Kleinanleger nicht als Option für ein Investment oder zur Altersvorsorge.

Die sogenannten offenen Immobilienfonds kombinieren die Nachteile der vorangegangenen Möglichkeiten, da sie Investoren weder die Möglichkeit bieten an der Entscheidungsfindung zu partizipieren noch geben sie Investoren Auskunft darüber, in welche Investmentobjekte man sich schlussendlich entschieden hat. Dennoch bieten offenen Immobilienfonds im Vergleich zu ihrem geschlossenen Pendant den Vorteil der Fungibilität, wenn auch der Handel mit diesem Produkt für den Verkäufer zumeist zu Verlusten führt.

Zusammenfassend bieten die seit langem am Markt angebotenen Lösungen aufgrund ihrer Illiquidität, geringen Erschwinglichkeit und Intransparenz wenig Möglichkeiten für Kleinanleger. Aus diesem Grund war die Immobilienbranche bis zur Erfindung der Blockchain-Technologie und der Security Token Offerings ausschließlich größeren und wohlhabenderen Investoren vorbehalten.

STOs – Immobilienprojekte für Jedermann

Im ersten Beitrag „Die Tokenisierung von Vermögensanlagen – Was sind Tokens und wie funktionieren sie?“ der Blogreihe zur Tokenisierung von Vermögensanlagen, haben wir die unterschiedlichsten Arten von Tokens näher erläutert. Fokus der weiteren Betrachtung ist der Security Token.  Ein Security Token hat das Ziel, Gewinne aus der Arbeit anderer zu erzielen und wird aufgrund seiner Fungibilität und allgemeinen Beschaffenheit von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) als Wertpapier eingestuft. Somit müssen Tokens auf dedizierten Plattformen oder Börsen gehandelt werden. Ein Security Token verfolgt sein Ziel, in dem er die Arbeit anderer – einen zugrundeliegenden Vermögenswert – in kleinere Teile aufspaltet und diese für Investoren jeglicher Art zugänglich macht. Durch den bedingten Wertzuwachs des zugrundeliegenden Vermögenswertes steigt der Wert des Security Tokens und somit der Return on Investment des Investors.

Betrachtet man daher die Beschaffenheit von Security Tokens im Zusammenhang mit Erläuterungen des ersten (Immobilieninvestments als unerreichbares Ziel) und zweiten Abschnitts (Alternative Investmentmöglichkeiten), kann ein Security Token etwaige für Kleinanleger entstehende Probleme lösen und ihnen einen fungiblen Zugang zu Immobilieninvestments ermöglichen. Es entstehen im Wesentlichen zwei Anwendungsbeispiele, Bauprojekte und Investments in bereits bestehende Infrastrukturen, welche sich jedoch in ihrem Grundprinzip nur leicht unterscheiden.

Das Grundprinzip einer jeden Tokenisierung zielt darauf ab, sämtliche Rechte und Pflichten der zugrundeliegenden Vermögensgegenstände in kleinere Teile aufzuteilen und diese auf eine Gruppe von Investoren aufzuteilen. Im Hinblick auf die Tokenisierung von Immobilien bedeutet diese Aufsplittung der Rechte und Pflichten insbesondere das Recht die Anteile, welche man auf einer dedizierten Plattform erworben hat, auf eben dieser Plattform wieder zu verkaufen. Weiterhin erhält der Käufer das Recht, seinen Anteil der monatlichen Mieten, ähnlich einer Dividende, zu beziehen. Zugleich übernimmt der Käufer die Pflicht, sich um das Fortbestehen der Immobilie zu kümmern und den Pflichten des Eigentümers gegenüber den Mietern nachzukommen.

Der wesentliche Unterschied im Falle eines Bauprojekts besteht darin, dass die Käufer den Bau der Immobilie durch die Emission von Security Tokens finanzieren und die Rechte und Pflichten der Käufer im Hinblick auf die Fertigstellung der Bauarbeiten auf der Zeitschiene zurückliegen. Beim Kauf einer bestehenden Immobilie erhält der Käufer das Recht auf Auszahlung seiner Mietanteile zum Zeitpunkt der Transaktion. Die Pflichten der Investoren werden in aller Regel durch den Emittenten erfüllt, der als Hausverwaltung agiert und alle wesentlichen Entscheidungen für die Eigentümergemeinschaft trifft. Nachfolgende Abbildung stellt die erforderliche Struktur sowie die Auszahlungsströme zwischen dem Emittenten und den Investoren dar.

Abbildung 2: Struktur und Geldströme bei immobilienbasierten Security Token Offerings

Der Emittent verteilt seine Gelder über die ihm zur Verfügung stehenden Investment-Vehikel. Gelder fließen in bestehende Immobilien, während die Investoren ihre Gelder wiederum über die Investment-Plattform in einzelne Immobilien investieren. Im Fall von Immobilienprojekten tokenisiert der Emittent die Idee eines Projekts und stellt die Immobilie durch das eingehende Kapital fertig, die durch die Tokenisierung eingenommen worden sind. Während der Investor an der Wertsteigerung einer Immobilie profitiert, erhält der Emittent eine Managementfee sowie eine Transaktionsgebühr.

Security Tokens ermöglichen daher Anlegern jeglicher Finanzstärke die Partizipation an Immobilieninvestments. Im dritten Teil der Blogreihe zur Tokenisierung von Vermögensanlagen schildern wir die Anwendung auf Private Equity und Venture Capital Fonds.

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Markus Fost, MBA, ist Experte für E-Commerce, Online Geschäftsmodelle und Digitale Transformation mit einer breiten Erfahrung in den Feldern Strategie, Organisation, Corporate Finance und der operativen Restrukturierung.

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In unserer dreiteiligen Blogreihe zum Thema Tokenisierung von Vermögenswerten möchten wir praktische Anwendungsmöglichkeiten von Security Token Offerings (STOs) im Private Equity, Venture Capital und der Immobilienbranche aufzeigen. Der erste Beitrag führt in die komplexe Dynamik von Security Token Offerings (STOs) und die Blockchain-Technologie ein. Im zweiten Beitrag werden praktische Umsetzungsbeispiele und Nutzungsmöglichkeiten von STOs in der Private Equity und Venture Capital Branche vorgestellt. Der letzte Beitrag befasst sich mit einer weiteren Anlageform und legt den Fokus auf eine mögliche Tokenisierung von Immobilienanlagen.

Der Ursprung von Security Token Offerings

Viele Menschen verbinden die Blockchain-Technologie größtenteils mit der Verwendung von Bitcoins, der nach Marktkapitalisierung größten und meistanerkannten Kryptowährung der Welt. Das volle Potenzial der Blockchain-Technologie wie die Speicherung unbegrenzter Datenmengen oder die Automatisierung immenser Mengen von Prozessen wird in der Öffentlichkeit meist noch nicht wahrgenommen. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit für diese Technologie sind Security Token Offerings (STOs). Ende 2017 nutzten erste Unternehmen (z.B. Invao, Brickblock) STOs, um Immobilienprojekte durch Crowdfunding (Beschaffung von Kapital durch eine Vielzahl kleiner Anleger anstelle von Großinvestoren) zu finanzieren und so den Immobilienmarkt für Kleinanleger zu öffnen. Diese Immobilienprojekte läuteten den Beginn der „Blockchain-Revolution“ und die Modernisierung der Finanzindustrie ein. Rückblickend haben STOs einen disruptiven Charakter, da sie die notwendigen technologischen Werkzeuge für Crowdfunding-Investitionen in Vermögenswerte aller Art bieten und somit Vermögenswerte, die für einzelne Kleinanleger zu kapitalaufwendig sind, handelbar und für jedermann erschwinglich machen.

Abbildung 1: Unterscheidung zwischen traditionellem und tokenisiertem Immobilieninvestment

Technologie und Funktionsweise

Die Tokenisierung von Vermögensgegenständen beruht auf der sogenannten Blockchain-Technologie. Die Blockchain kann als eine hochtechnische neue Art von Datenbank beschrieben werden. Über die letzten Jahre hat sich diese zur bevorzugten Lösung für die sichere Speicherung digitaler Informationspakete entwickelt. Der Name Blockchain hat seinen Ursprung im Aufbau der Datenbank, in welcher eingehenden Informationen in einzelnen Blöcken gruppiert und dann verkettet werden. Die Blockchain unterscheidet sich von klassischen Datenbanken, da sie vollständig öffentlich und transparent ist. Die getätigten Transaktionen können nicht mehr geändert oder gelöscht werden und können jederzeit von jedem Nutzer auf der Welt überprüft werden. Die Blockchain wird gemeinhin als Public Ledger bezeichnet, eine Reihe von Blöcken, in denen Transaktionsdetails nach Überprüfung durch die ausgewählten Netzwerkteilnehmer gespeichert werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Blockchain eine Datenbank ist, deren Transaktionen unwiderruflich gespeichert werden, sobald sie von den ausgewählten Netzwerkteilnehmern verifiziert wurden.

Die Tokenisierung eines Vermögenswerts beschreibt die Verwendung eines auf der beschriebenen Blockchain basierenden Tokens, das als Security Token bezeichnet wird und den realen handelbaren Vermögenswert digital repräsentiert. STOs funktionieren ähnlich wie Wertpapiere und sind daher handelbar, können jedoch auf praktisch alle bestehenden Vermögenswerte angewandt werden. Die Tokenisierung bietet viele Vorteile. Wenn Security Token beispielsweise auf Private Equity Fonds angewendet werden, müssen Investoren nicht auf einen Exit warten, sondern können den Token (d.h. ihren Vermögenswert) jederzeit verkaufen. Darüber hinaus erlaubt es ein STO, einen Vermögenswert in kleinere Stücke (Anteile) zu teilen. Diese können dann zu einem niedrigeren Kurs erworben werden. Im groben Sinn kommt ein Security Token eines Vermögenswertes dem Besitz einer Aktie an einem Unternehmen oder der Beteiligung an einem Investmentfonds gleich. Security Tokens und Aktien haben sicherlich viele Ähnlichkeiten, sind jedoch nicht identisch. Token sind auch fungibel und aber im Gegensatz zu Aktien teilbar und auch auf Gegenstände anwendbar. Das bedeutet, dass sie kleine Bruchteile eines Vermögenswerts repräsentieren können, was sie zu maßgeschneiderten Instrumenten für Crowdinvesting an Vermögenswerten macht.

Differenzierung verschiedener Token

Um zu verstehen, wie Security Token Angebote funktionieren und wie sie Anlegern Vorteile bringen können, ist ein Verständnis über die unterschiedlichen Arten von Token wichtig. In der Praxis finden sich drei verschiedene Blockchain-basierten Token mit unterschiedlichen Verwendungszwecken, Konzepten und Hintergründen. Der Howey-Test bildet den Rahmen für die Entscheidung, ob ein bestimmter Vermögenswert als Wertpapier im Sinne des Gesetzes eingestuft wird oder nicht und führt damit zu einer Unterscheidung der verschiedenen Token-Typen. Ein Wertpapier liegt dann vor, wenn der Vermögenswert eine Investition in eine Unternehmung darstellt, die von einer anderen Person umgesetzt wird.

Der erste Token, der in diesem Abschnitt besprochen wird, ist der so genannte Payment Token. Ein Payment Token ist selbsterklärend, da er als simples Zahlungsmittel verwendet werden kann und mit einer herkömmlichen Fiat-Währung wie dem Dollar oder dem Euro austauschbar ist. Der Payment Token fällt nicht in die Kategorie einer Security, da er keine Investition darstellt. Die bekanntesten Beispiele für Payment Tokens sind der Bitcoin oder Ethereum, die zwei der derzeit am Markt relevantesten Kryptowährungen.

Der zweite Token ist der so genannte Utility Token. Wenn ein Token kein simpler Payment Token ist und nach dem Howey-Test nicht als Wertpapier eingestuft wird, handelt es sich um einen Utility Token. Grundsätzlich verleiht ein Utility Token dem Besitzer das Recht, ein Produkt oder eine Dienstleistung vom ausgebenden Unternehmen zu erhalten. Ein klassisches Beispiel eines Utility Token Angebots ist Cloudspeicherplatz bei Einlösung der Tokens. Es gibt keine Höchstmenge an Utility Token, die von einem Unternehmen ausgegeben werden darf. Deshalb wird der Preis der Token durch die Angebots-Nachfrage-Kurve reguliert.

Dieser Beitrag fokussiert sich auf den dritten Token, den Security Token. Um als Security Token zu gelten, muss der Token den Howey-Test bestehen. Es ist wichtig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass ein Token, der als Security Token eingestuft wird, rechtlich als Wertpapier behandelt wird und somit den einschlägigen Vorschriften unterliegt. Security Token haben das Ziel, Gewinne aus der Arbeit anderer zu erzielen. Populäre Beispiele für diese Art des Tokens sind die eingangs erwähnten Immobilieninvestments oder Investments in Private Equity und Venture Capital Funds.

Abbildung 2: Differenzierung von Token-Typen

Die drei genannten Tokens werden durch ihren namensgebenden Verwendungszweck charakterisiert. Payment Tokens haben die Absicht, Fiat-Währung als Zahlungsmittel zu ersetzen, Utility Tokens können als eine Art Gutschein für eine Ware oder eine Dienstleistung betrachtet werden und Security Tokens bieten eine neue potenzielle Anlageklasse.

Zusammenfassung und Ausblick

Im ersten Teil unserer Blogreihe „Tokenisierung von Vermögensanlage“ wurde die Blockchain-Technologie und die darauf aufbauenden Variationen von Tokens in Ihren Grundzügen dargestellt und erläutert. Zusammenfassend kann die Blockchain als nicht nachträglich veränderbare Datenbank beschrieben werden, in welcher Transaktionen in einzelnen Blöcken gespeichert und in Form eine Kette aneinandergereiht werden. Auf Basis dieser fälschungssicheren Datenbank ist es möglich verschiedene Tokens zu generieren. Die drei Hauptkategorien sind Payment Tokens, die eine digitale Zahlung unabhängig von Fiat Währungen ermöglichen, Utility Tokens, welche einen Lieferungs- oder Leistungsanspruch darstellen und Security Tokens, welche als Wertanlagen fungieren und eine „Teilhaberschaft“ and verschiedensten Vermögenswerten ermöglichen.

Security Tokens bieten eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten und haben das Potential die Investmentbranche zu revolutionieren. Um diese Vielseitigkeit abbilden zu können, fokussieren sich die nächsten beiden Teile der Blogreihe auf Security Tokens. Einen ersten Einblick über die Einsetzbarkeit bietet das Team von FOSTEC & Company im zweiten Teil der Reihe mit einer detaillierten Ausarbeitung der Anwendungsmöglichkeiten in Private Equity Investments.

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Digitalisierung des Versicherungswesens

Lange war die Versicherungsbranche ein sicherer Hafen für Digitalisierungsverweigerer. So schnell sich die Branchen um einen herum auch veränderten: Hier lief alles lief wie gewohnt weiter. Der Versicherungsvertreter verkaufte im Dialog mit dem Kunden Versicherungspolicen, deren Inhalt kaum ein Kunde nach dem Beratungsgespräch wahrhaft durchdrungen hatte, und die internen Prozesse der Versicherungsunternehmen waren von einer Datenverwaltung und -verarbeitung geprägt, die über Jahrzehnte gewachsen war und im Laufe der Zeit nie grundlegend erneuert wurde. Doch angesichts der zunehmenden Innovationsgeschwindigkeit der Wirtschaft und ständig neuer Kundenanforderungen hinsichtlich Kommunikation und Service, Big Data und der technologischen Innovationen der jüngsten Vergangenheit, wird ein Festhalten an bestehenden Strukturen auch für Nostalgiker und ewig Gestrige nicht mehr länger möglich sein.

 

Der Kunde als treibende Kraft

Kernthema der öffentlichen Diskussion über die anstehenden Veränderungen im Versicherungswesen ist vor allem der Wandel der Geschäftsmodelle. Es werden Zukunftsszenarien entworfen, in denen Kunden ihre Versicherungen bei Robotern abschließen, die den Versicherungsmakler früherer Zeiten obsolet machen und die jüngsten Entwicklungen im Bereich Artificial Intelligence (AI) lassen ein Eintreffen dieser Visionen immer wahrscheinlicher erscheinen.

Doch ist es überhaupt nicht nötig, gar so weit in die Zukunft zu blicken, denn schon die heutigen Kundenwünsche stimmen nicht mehr mit dem klassischen Angebot vieler Versicherer überein. Der Kunde ist aus anderen Lebensbereichen gewohnt, über verschiedenste Kanäle mit Unternehmen in Verbindung zu treten und kommunizieren zu können: Vertriebskanäle wie mobile Apps, Plattformen oder intelligente Assistenzsysteme sind in vielen Bereichen des Alltags bereits Standard und werden vom Kunden daher mehr und mehr vorausgesetzt. Die veränderten Kundenanforderungen werden jedoch auch die Versicherungsprodukte selbst betreffen. Konnte man früher aus nur wenigen Standardprodukten wählen und hatte man sich dabei letztlich auf die Empfehlung des Versicherungsmaklers verlassen, werden sich die Produkte und Tarife durch AI und Predictive Analytics verstärkt in Richtung individualisierte Angebote wandeln.

 

Neue Spieler am Versicherungsmarkt

Versicherer geraten aber nicht nur durch ihre Kunden unter Druck. Erschwerend kommt hinzu, dass nun mit Startups und Mitbewerbern aus anderen Bereichen auch völlig neue Spieler eine zentrale Position einnehmen und den alteingesessenen Versicherungsriesen dabei in vielerlei Hinsicht bereits heute meilenweit voraus sind.

Zum einen sind da die InsurTechs. Startups, die sich als eine Mischung aus Technologieunternehmen und Versicherer verstehen und unkonventionelle digitale Geschäftsmodelle entwickeln. Stand bei ihnen anfangs noch die Kooperation mit großen Versicherern im Fokus, erwerben sie inzwischen zunehmend eigene Versicherungslizenzen. Vorreiter und bekanntestes Beispiel ist die Online-Versicherung Lemonade, dem das Potenzial nachgesagt wird, die gesamte Versicherungsbranche zu revolutionieren. Das voll-lizensierte Unternehmen nimmt Schadensmeldungen seiner Kunden via Videobotschaft entgegen, Bots nehmen den Schaden auf. Nur komplizierte Fälle werden an einen Menschen weitergegeben. Durch Einsatz dieses AI-gestützten Verfahrens konnten die Kosten immens gesenkt werden, wodurch es Lemonade möglich ist, deutlich günstigere Konditionen als die Mitbewerber anzubieten. 20 Prozent der Einnahmen fließen in Rückversicherung, Geschäftsbetrieb und Technologie, vom Rest werden Schadenszahlungen getätigt. Was übrig bleibt, geht an soziale Projekte.

Auf der anderen Seite stehen Online-Giganten, die den Versicherungsmarkt neu für sich entdecken. Amazon beispielsweise schaltet bereits entsprechende Stellenangebote und sucht nach Versicherungsexperten zum Start eines neuen Unternehmens. Laut der Stellenanzeigen lautet der Plan, ein erhebliches Wachstum in den bestehenden Märkten zu erzielen und neue, innovative Produkte herauszubringen. Erste Erfahrungen hat Amazon in dem Bereich in Kooperation mit der Ergo bereits gesammelt. Bisher beschränkt sich Amazons Angebot zwar noch auf Geräte- und Diebstahlschutz, dieses Angebot soll nun aber erweitert werden. Warum Amazon dabei so bedrohlich für die Versicherungsbranche ist? Amazon sitzt auf einem wahren Goldschatz: Unmengen an Kundendaten. Kein anderes Unternehmen der Welt weiß so viel über seine Kundschaft und kann daher so zielgerichtet agieren. Würde Amazon diese Kundendaten und bereits bestehenden Amazon-Plattformen nutzen, um den Kunden zum einen individualisierte Angebote zu machen, zum anderen durch Vergleichsplattformen aber auch die Möglichkeit zur Auswahl des bestens Angebots und völlige Transparenz bieten, würde dies eine Lawine ins Rollen bringen. Ein weiterer Wettbewerbsvorteil von Amazon ist der Vertrauensaspekt. Bereits seit Jahren ist die Kundenfokussierung von Amazon in aller Munde und es ist allgemein bekannt, dass Amazon im Zweifelsfall immer für den Kunden entscheidet. Die Versicherungsbranche selbst ist in der Wahrnehmung des Kunden meilenweit hiervon entfernt.

 

Technologische Revolutionen auf dem Versicherungsmarkt

Aus den zahlreichen technologischen Veränderungen haben sich in jüngster Vergangenheit einige herauskristallisiert, die für die Versicherungsbranche von besonderer Bedeutung sein werden.

  1. Data Analytics: Die Zeiten, in denen einfach nur Unmengen an Daten erhoben wurden, sind vorbei. Heute geht es darum, tatsächlich einen Mehrwert aus ihnen zu ziehen. Das erfordert mehr als eine Analyse der Vergangenheitsdaten. Wichtig werden für Versicherungsunternehmen vor allem die Vorhersagen sein, die die Arbeitsweise von Versicherungen völlig auf den Kopf stellen werden.
  2. Artificial Intelligence: AI ist dazu in der Lage, die Risikoprüfung völlig neu zu erfinden. Prozesse, die bisher vor allem auf Erfahrungswerten basierten, können mit Hilfe von AI neu strukturiert werden, da AI Risiken deutlich besser einschätzt und so Schadenquoten und Betrugsrisiken deutlich minimiert.
  3. Blockchain: Die Blockchain ist in der Lage, Betrug vorzubeugen und zum Datenschutz beizutragen. Indem sie Sicherheit zwischen den beteiligten Parteien schafft, kann sie klassische Prüfungs- oder Clearingstellen ersetzen. Aktuell beschränkt sich ihr Einsatz vornehmlich auf Smart Contracts, d. h. digitale Verträge, die automatisch greifen, wenn bestimmte, zuvor definierte Ereignisse oder Auslöser erfüllt sind. Sie kommen beispielsweise im Falle von Schadensfällen aufgrund von Unwettern zum Einsatz: Völlig ohne menschliches Zutun rufen sie beispielsweise die Datenbanken des Wetterdienstes ab und bestimmen, in welcher Gegend zu welchem Zeitpunkt ein Unwetter war. Im Anschluss sind sie in der Lage, einen eingetretenen Schadensfalls selbstständig vorzunehmen.
  4. Digitalisierung der Prozesse: Gerade in indirekten Bereichen (White Collar) besteht bei Versicherungsunternehmen massives Potential zur Automatisierung und Digitalisierung von Prozessen. Auf diese Weise lassen sich in Abteilungen wie HR, Accounting & Controlling, Produkt- und Risikomanagement Einsparungspotentiale von bis zu 60% heben. Dies wird erforderlich sein, um mit künftigen Wettbewerbern wie Amazon Schritt halten zu können.

 

Was das für Versicherer bedeutet

Althergebrachte Erfolgsmuster verlieren in diesem Umfeld schneller als je zuvor ihre Gültigkeit und um zu überleben, gilt es für die großen Versicherer nun, sich schnell an Marktveränderungen anzupassen. Waren sie vor Kurzem noch unantastbar und konnten sich auf ihre Marktmacht verlassen, müssen sie sich heute neue Technologien wie Blockchain oder Smart Data zu eigen machen. Mut und Wille zur Veränderung sind der Grundstein für das zukünftige Bestehen am Markt, reichen allein aber nicht aus. Ihr Ansatz muss technologische Anpassungen ebenso umfassen wie organisatorische und kulturelle Veränderungen. Die marktseitige Ausrichtung muss ebenso in den Fokus der Restrukturierung des eigenen Geschäftsmodell geraten, wie die internen Strukturen, die zur Leistungserbringung notwendig sind. Dies umfasst die Digitalisierung, Automatisierung und datenbasierte Steuerung von Prozessen. Außerdem müssen die starren Konzernstrukturen flexiblen IT-Umgebungen weichen, um dem schnellen Wandel des Marktes entsprechen zu können, sich dem Wandel der Kundenkanäle zeitig anzupassen und die Daten sinnvoll zu nutzen. Vor allem aber darf der Wandel vor den Organisationsstrukturen, den Mitarbeitern und der Unternehmenskultur nicht Halt machen.

 

Mehr zum Thema:

Videointerview der Signal Iduna mit Markus Fost zum Thema Amazon und de Zukunft des Versicherungsmarkts

 

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Durch den zunehmenden Wettbewerb und das sich ständig verändernde Marktumfeld stehen mittelständische Unternehmen vor der ständigen Herausforderung ihr Organisationsdesign anzupassen. Dabei stellt sich die Frage wie hierarchisch eine Organisation aufgestellt sein sollte. Um die Steuerungsfähigkeit sicherzustellen, werden klassischerweise hierarchische Strukturen mit zunehmender Unternehmensgröße verstärkt. Im Gegensatz dazu zeigen Unternehmen wie Haier, dass auch Organisationen mit selbständig agierenden Einheiten äußerst erfolgreich sein können. Dieser Beitrag soll die Vorteile von derartigen Organisationsformen aufzuzeigen, um Unternehmen die Möglichkeit zu geben das Organisationsdesign optimal an deren individuelle Situation anzupassen. Ziel sollte eine Organisationsform sein, die eine ideale Balance zwischen strategischen Zielgrößen wie Produktivität, Flexibilität und Innovationsfähigkeit ermöglicht.

Der Mittelstand muss sich an ein verändertes Marktumfeld anpassen

Der Mittelstand sieht sich vielen Herausforderungen ausgesetzt. Schon lange internationalisieren sich Absatzmärkte und Produkte werden längst nicht mehr nur im eigenen Land oder angrenzenden Staaten vertrieben. Durch die Liberalisierung vieler Volkswirtschaften weltweit sind auch neue Wettbewerbssituationen entstanden. So konkurriert zum Beispiel ein deutscher Hersteller von Kunststoffteilen mit Unternehmen weltweit um die gleichen internationalen Absatzmärkte. Dies führt zu starkem und dynamischem Wettbewerb, in dem sich die Mittelständler behaupten wollen und müssen. Wettbewerbsfähigkeit hängt neben der Produktqualität auch von sehr vielen weiteren Faktoren ab. Nicht zuletzt ist dabei die eigene Produktivität zu nennen, die sich auch aus der Organisation eines Unternehmens und der Art und Weise seiner Managementphilosophie ergibt.

In diesem Kontext ist es entscheidend, sich flexibel an ein sich veränderndes Geschäftsumfeld anzupassen. Der Begriff Agilität wird in diesem Zusammenhang bereits auf verschiedenste Arten interpretiert und verwendet. Grundlegend damit verbunden ist jedoch eine gewisse Dynamik und Flexibilität anstelle einer starr festgelegten Organisationsstruktur, an der möglichst wenig gerüttelt werden soll.

Studien haben bereits einen Zusammenhang zwischen Agilität und wirtschaftlichem Erfolg eines Unternehmens hergestellt. So sind die agilsten Unternehmen einer Branche im Durchschnitt 2,7-mal erfolgreicher als konkurrierende Firmen, die auf starre Strukturen setzen. Gleichzeitig schaffen es lediglich 5% der Unternehmen, die nur einen geringen Grad an Agilität aufweisen, wirtschaftlich überdurchschnittlich abzuschneiden (goetzpartners, 2017).

Die Frage nach dem besten Management von Organisationen treibt Wissenschaftler ebenso wie Manager und Mitarbeitende schon immer um. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich klassische Management-Theorien durchgesetzt, die in der Wissenschaft beschrieben und in der Praxis von Unternehmen umgesetzt werden. Ausnahmen bestätigen aber bekanntlich die Regel.  Immer wieder gibt es Unternehmen, die neuen und innovativen Organisationsformen folgen und dabei andere Ziele und Werte in den Vordergrund stellen.

Eine Erfolgsgeschichte: Organisational Self-Management am Beispiel Haier Ltd.

Eine Erfolgsgeschichte für Organisational Self-Management ist das chinesische Unternehmen Haier mit seinem einfallsreichen CEO Zhang Ruimin. Haier ist Weltmarktführer in der Herstellung von Haushaltsgeräten und beschäftigt ca. 100.000 Mitarbeiter. Der Hauptsitz der Firma liegt in Qingdao in China (Haier Ltd., 2021).  Um den Einfallsreichtum von Haier´s CEO Zhang Ruimin einmal zu verdeutlichen, bietet sich folgende Anekdote an. Ruimin übernahm Haier im Jahr 1984. Zu diesem Zeitpunkt war Haier ein verlustträchtiges Unternehmen mit heruntergekommenen Fabriken. Im Jahr 1985 ordnete Ruimin eine Inventur an, die ans Tageslicht brachte, dass 20 Prozent der Kühlschränke defekt waren. Ruimin‘s oberstes Ziel war die Sicherstellung von Qualität, weshalb er einen symbolischen Akt anordnete. 76 defekte Kühlschränke wurden in einer Reihe aufgestellt und Ruimin und seine Mitarbeiter demolierten diese mit Vorschlagshämmern, um ein klares Zeichen zu setzen. Dieses sollte die Produktqualität der Marke Haier in der Wahrnehmung der Kunden in den Vordergrund stellen. Zudem sollte es zeigen, auch in schwierigen Zeiten Mut für Neues zu haben.

Beides gelang. Ab diesem Zeitpunkt ging es wieder aufwärts. Bis heute gab es unter Ruimin zahlreiche Transformationen – eine innovativer und unkonventioneller als die andere, die allesamt das Unternehmen weiter nach vorne brachten. Heute beschreiben viele Haier als eines der innovativsten Unternehmen unserer Zeit. Trotz seiner hohen Innovationsrate liegt die Stärke von Haier weder in besonders ausgefallenen noch in besonders bahnbrechenden Produkten, sondern in der Unternehmensorganisation. Organisational Self-Management (dt. Organisatorisches Selbstmanagement) als unkonventionelle Organisationsform hat Haier in hohem Maße wettbewerbsfähig gemacht und hält es weiterhin auf diesem Erfolgskurs. Nachfolgend wird gezeigt was Mittelständler von Self-Managing Organisations lernen können, um so die eigene Unternehmensperformance nachhaltig zu verbessern.

Was ist Organisational Self-Management?

Organisational Self-Management bedeutet, dass Organisationen und deren Mitglieder sich selbst managen, anstatt sich von anderen managen zu lassen. Im Unternehmenskontext hat dies zur Folge, dass viele übergeordnete Management- und Hierarchiestufen schlichtweg nicht existieren. Stattdessen organisieren sich die einzelnen Teams selbst. Dies geschieht zum einen im Hinblick auf Projekte, Projektauswahl und -management, zum anderen im Hinblick auf administrative Themen wie Personal und Budgets.

Beispiele aus der Praxis mit unterschiedlichen “Self-Management-Intensitäten” zeigen, dass dabei alle Self-Managing Organisations ähnlichen Prinzipien und Gedankengängen unterliegen. Vor allem haben alle gemeinsam, dass der Organisationsstil trotz Eliminierung von Hierarchiestufen und Verantwortungsübertragung auf “unteren” Ebenen grundsätzlich dem Wohl der Organisation und damit dem Wachstum des Unternehmens dienen soll.

Es gibt jedoch Unterschiede zur Organisationstheorie im herkömmlichen Sinne. Die klassische Theorie, im Speziellen das 1972 entwickelte Wachstumsmodell nach Greiner (vgl. Abbildung 1), stellt typische Wachstumsphasen in der Entwicklung einer Organisation und daraus resultierende Erfordernisse zur Veränderung dar. Die zentrale Erkenntnis des Modells: Unternehmen geraten in ihrem Unternehmenslebenszyklus fast automatisch in wachstumsbedingte Krisen. Unternehmerisch erfolgreiches Handeln führt zu Wachstum, dieses Wachstum wiederum führt zu Krisen. Diese Krisen müssen in den unterschiedlichen Phasen des Unternehmenslebenszyklus unterschiedlich gemanagt werden.

Am Anfang des Unternehmenslebenszyklus steht die initiale Kreativphase. In dieser Phase muss sich die Unternehmensidee entwickeln. Greiner spricht hier von „Wachstum durch Kreativität“. Ist die Idee entwickelt, folgt die Skalierung und es entstehen erste Strukturen und sich daraus ergebende Hierarchien und Verantwortlichkeiten. Häufig folgen diese in diesem Stadium noch deutlich einem Top-Down-Approach. Im Anschluss erkennt das Unternehmen, dass sich nicht mehr alles eindeutig und klar top-down lösen lässt und betritt die Phase des „Wachstums durch Delegation“. Verantwortlichkeiten müssen delegiert werden, da die Zahl der anstehenden Entscheidungen die Kapazität des Top-Managements überschreitet. Aus der folgenden Bürokratiekrise resultieren weitere Reorganisationsmaßnahmen, die zu „Wachstum durch Koordination“ führen. Die entstandenen einzelnen Einheiten bilden dann schnell eine komplexe Ansammlung von Abteilungen und Gruppen, die nicht nur koordiniert werden, sondern auch gewinnbringend zusammenarbeiten müssen. Schafft man es nun, dass die einzelnen Einheiten synergetisch zusammenarbeiten, ergo kooperieren, führt dies zu weiterem Wachstum. Diese Kooperation erfordert jedoch eine zentrale Steuerung, was dazu führt, dass in dieser Phase der Grad an Hierarchie in vielen Fällen wieder ansteigt. Weiteres Wachstum wird nun nur noch durch unternehmensübergreifende Vernetzung erreicht.

Abbildung 1: Das Wachstumsmodell nach Greiner (1972)

Das Modell zeigt, dass die Komplexität der Organisation durch Wachstum steigt. Analysiert man die Krisen, die Greiner in seinem Modell ausmacht genauer, erkennt man, dass alle darauf bezogen sind, die bestehende Struktur des Unternehmens möglichst beizubehalten. Dies funktioniert durch mehr Delegation. Die Struktur sollte möglichst beibehalten werden, da sich sonst die Identität des Unternehmens verliert. Dies resultiert in einer Tendenz in Richtung wieder stärkerer Hierarchie-Strukturen. Das Modell zeigt allerdings dahingehend keinen Pfad auf, der demonstriert, dass es auch gewinnbringend sein kann, Hierarchien und Strukturen vollständig aufzubrechen.

Anders ist dies in Self-Managing Organisations. Diese begreifen das Nicht-Vorhandensein von gewissen Strukturen als einen Teil der Unternehmensidentität. Abbildung 2 stellt die unterschiedliche Ausprägungsstärke von Hierarchie in Self-Managing Organisations und der klassischen Theorie anschaulich dar.

Beide Formen beginnen im Zeitverlauf mit einem starken Aufbau an hierarchischen Strukturen. Wie in der Praxis häufig zu beobachten, experimentieren Unternehmen der klassischen Theorie zufolge, im Zeitverlauf mit verschiedenen Ausprägungen von Hierarchie. Auf lange Sicht werden tendenziell wieder stärkere Hierarchiestrukturen implementiert. Self-Managing Organisations andererseits lassen beinahe gänzlich ab von Hierarchie und bleiben langfristig auf einem niedrigen Niveau. Spannend ist hierbei zu beobachten, dass grundsätzlich beide Unternehmensformen wirtschaftlich positiv performen können.

Abbildung 2: Hierarchie im Unternehmenslebenszyklus – Klassische Theorie vs. Self-Management-Organisationen

Am Beispiel Haier wollen wir nachfolgend erläutern, wie eine Self-Management Organisation in der Praxis operieren kann. Wie zu Beginn bereits erläutert, durchlief Haier mehrere Transformationen, welche allesamt sieben Jahre andauerten – alle unter demselben CEO. Von großer Bedeutung sind jedoch nur die letzten beiden. Ruimin baute über zwei Jahrzehnte strikte Hierarchien auf und führte den  Konzern nicht nur zu Struktur und Ordnung, sondern auch zu herausragender Profitabilität und Wachstum. 2005 führte Ruimin eine Inverse Pyramide mit selbst-gemanagten Teams ein. Die Grundlage bildete eine vollständig demokratische Entscheidungsfindung. Mitarbeiter konnten über die Annahme oder Ablehnung von neuen Projekten abstimmen und den oder die jeweiligen Projektleiter/in wählen. Diese/r suchte sich dann eigenständig das Projektteam zusammen. Dieses arbeitete selbst verantwortlich und war voll verantwortlich für die eigenen Gewinne und Verluste.

Allerdings hielt auch diese Organisationsform nur sieben Jahre an und wurde 2012 wieder verändert. Mit dem Einzug der Plattformökonomie und netzwerkbasierten Großkonzernen musste Haier die Inverse Pyramide wieder abschaffen. Laut CEO Ruimin war dies aber ein Schritt in die richtige Richtung. Ruimin eliminierte das gesamte Middle-Management (10.000 Mitarbeiter) und zerschlug Haier in ein Ökosystem aus Mikro-Start-ups. Aus Projektteams, Zentralabteilungen, Vertriebsteams, Entwicklungsteams und anderen Einheiten wurden eigenständige Start-ups geschaffen. Insgesamt entstanden mehr als 200 Mikro-Unternehmen mit direktem Kundenkontakt und über 3.800 Mikrounternehmen für Service und Support. Jedes dieser Start-ups ist seitdem vollständig selbst verantwortlich und hat die freie Entscheidungsgewalt zum Beispiel über Personalthemen oder die Gewinnverteilung. Auch wenn sich die Unternehmen gegenseitig unterstützen, sind die aus Haier entstandenen Start-ups anstelle von Hierarchien und Aufbau- oder Ablauforganisationsformen lediglich durch marktgetriebene Vertragsmechanismen verbunden. Die Mitarbeiter sind meist anteilsmäßig an ihren Start-ups beteiligt. Das Haier-Ökosystem wird somit zu einer unternehmerisch denkenden Plattform und entwickelt die Angestellten zu unternehmerisch denkenden „Machern“.

Wie implementiert ein Unternehmen erfolgreiches Self-Management?

Nun stellt sich die Frage, welche Erkenntnisse ein deutscher Mittelständler aus dieser einzigartigen Entwicklung ziehen kann und wie er diese gewinnbringend übernehmen bzw. zur Orientierung und Inspiration heranziehen kann. Dazu müssen die Erfolgstreiber des Organisational Self-Management analysiert und direkt an die Realitäten eines deutschen Mittelständlers angepasst werden. Diese sind in Abbildung 3 dargestellt.

Abbildung 3: Erfolgsfaktoren und Maßnahmen zu einem erfolgreichen Organisation Self-Management

Verschiedenste Berufsbilder werden durch fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung immer komplexer – auch und insbesondere in typisch mittelständischen Industrien. Bürokaufleute sind heute schon mehr Büro- und Projektmanager und müssen auch in übergeordneten Geschäftsprozessen mitdenken. Gleichzeitig möchten sich Mitarbeiter mitgenommen und am großen Ganzen beteiligt fühlen. Wenn dies der Fall ist und Mitarbeiter merken, dass die eigene Arbeitsleistung durchaus etwas bewegen kann, führt das zu deutlich gesteigerter Motivation und steigender Arbeitsleistung. Diese Anerkennung kann demonstriert werden, indem Mitarbeitern Autonomie und Selbstbestimmung zugestanden wird – des ersten zentralen Erfolgsfaktors des Organizational Self-Management. Haier hat dies im Extremen umgesetzt. Nicht jeder Mittelständler eignet sich für solch eine drastische Transformation. Es ist jedoch zu empfehlen in kleinen Schritten in diese Richtung zu gehen. So können Sie beispielsweise dazu übergehen, sich Teams in gewissen Punkten selbst managen zu lassen und ihnen so mehr Entscheidungsspielräume zu lassen. Selbstverständlich darf dabei die Unternehmensmission nicht aus den Augen verloren werden – diese Mission sollte auch für das sich selbst managende Team die Grundlage jedes Handelns sein.

Eng damit verwandt ist der zweite Erfolgsfaktor des Organizational Self-Management – die Verschlankung der Hierarchiestrukturen durch das Eliminieren des Middle-Managements. Überlässt man den Mitarbeitern mehr Entscheidungsspielräume, müssen zwangsläufig auch weniger Entscheidungen auf Ebene des mittleren Managements getroffen werden. Diese Entscheidungsinstanz wirkt sich oft hinderlich auf Autonomie und Selbstbestimmung der Teams aus. Mittelständler sollten hier ihre Strukturen in der Form überdenken und anerkennen, dass es nicht notwendig ist, Middle-Manager nur einzusetzen, um einer weiteren Person für gewisse Prozesse in die Verantwortung übertragen zu können. Stattdessen müssen die Teams hier selbst in die Verantwortung genommen werden. Zudem bringt dieser Schritt oberste Führungsebene und Mitarbeiter näher zusammen, und sorgt so für eine stärkere Identifizierung mit dem Unternehmen und führt dadurch zu dynamischeren und agileren Prozessen.

Bei Konzernen aber auch bei Mittelständlern lässt sich häufig beobachten, dass Abteilungen nahezu gegeneinander arbeiten, indem sie sich gegenseitig die Verantwortung für Prozesse zuordnen, aber die gegenseitigen Potentiale und mögliche Synergien nicht erkennen. Dieses Problem liegt darin begründet, dass die Verantwortung in solchen Strukturen nicht bei den ausführenden Personen liegt. Überträgt man aber Eigenverantwortung auf die ausführenden Personen, entsteht ein stärkerer Geschäftssinn, der die Erfüllung der Unternehmensmission in den Vordergrund stellt. Stellt man sogar wie Haier die einzelnen Teams und Abteilungen als eigene Mikro-Unternehmen auf, finden sich die einzelnen Mikro-Unternehmen zum einen im positiven Wettbewerb, zum anderen aber auch im gleichen Ökosystem wieder. In diesem Ökosystem – dem dritten Erfolgsfaktoren der Self-Managing Organisations – können Start-ups, Teams oder Abteilungen synergetisch und auf Marktmechanismen basierend zusammenarbeiten.

Der vierte Erfolgsfaktor der Self-Managing Organisations ist die Incentivierung der Mitarbeiter. Schon in der klassischen Management-Schule wird gelehrt, dass man die intrinsische Motivation der Mitarbeiter bedienen sollte, um sie langfristig zu motivieren. Anstelle von intrinsischen Motiven sind in der Praxis oft Gehalt, Beförderungschancen oder sogar die drohende Gefahr, entlassen zu werden häufige Motivationsfaktoren. Keine dieser Faktoren sind nachhaltig und bieten somit keine wertvollen Anreize. Mitarbeiter handeln deshalb nicht immer zum Wohle der Unternehmensmission, sondern lediglich mit dem Ziel, diesem Faktor gerecht zu werden. Resultierend arbeitet der Mitarbeiter lediglich höheren Ebenen zu. Wenn Mitarbeiter am Unternehmenserfolg beteiligt werden, entwickelt sich ein eigenes ökonomisches Interesse an einer positiven Unternehmensperformance und es wird ganzheitliches Denken gefördert.

Der letzte Erfolgsfaktor ist zugleich auch der wichtigste, da er maßgeblich in alle anderen Faktoren mit hineinspielt und daher schon mehrmals erwähnt wurde. Die gesamte Idee der Self-Managing Organisations baut auf der Pflicht und Notwendigkeit zur Verantwortungsübernahme der Mitarbeiter auf. Nur wenn Mitarbeiter sich der Verantwortung stellen und Führung über ihre eigenen Projekte übernehmen wollen, hat das Konzept der Self-Managing Organizations Erfolg.

Es gibt somit kein eindeutiges und eindeutiges Konzept, dem alle Self-Managing Organisations folgen. Allerdings gibt es viele Prinzipien nach denen erfolgreiche Self-Managing Organisations arbeiten und von denen sich jedes Unternehmen einige Punkte abschauen kann. Ein größerer Entscheidungsspielraum, größere Verantwortung eines jeden einzelnen für sein Tun und Handeln und flache Hierarchien führen zu agilen Strukturen im Unternehmen, welche sich bekanntlich sehr positiv auf den Unternehmenserfolg auswirken.

Angewandtes Self-Management kann den Unternehmenserfolg sicherstellen

Eine Sache ist somit klar geworden – es gibt nicht den einen Weg, mit dem man sein Unternehmen zu einer erfolgreichen Self-Managing Organisation umbauen kann – vor allem dann, wenn das Unternehmen schon seit einiger Zeit am Markt etabliert ist. Unternehmen sind einzigartige Organisationen mit unterschiedlichen Ansprüchen, Missionen und Visionen, Herangehensweisen, und Zielgruppenstrukturen. Trotz dieser Unterschiede gibt es organisationstheoretisch einige allgemeingültige Wege, eine Organisation sinnvoll und gewinnbringend aufzubauen. Die Organisationstheorie ist jedoch, wie jede andere Theorie, ständig neuen Einflüssen und Veränderungen ausgesetzt. Im Zuge der sich verändernden Arbeitswelt und dem Wandel hin zu großen Plattformökonomien entstehen auch neue Einflüsse auf die Art und Weise des Managements von Organisationen. Stringente, geradlinige Organisationsformen brechen mehr und mehr auf.

Bestehende Self-Managing Organisations und ihr Erfolg verändern die Wahrnehmung von Organisationen und Hierarchien und motivieren dazu, klassische Organisationsstrukturen zu hinterfragen. So experimentieren Unternehmen schon länger mit flachen Hierarchien und agilen Strukturen und machen damit meist sehr positive Erfahrungen. Diese konnten auch wissenschaftlich belegt und nachgewiesen werden. Ausgehend von dieser Erfahrung sollte sich jedes Unternehmen über die einzelnen Erfolgsfaktoren von Self-Managing Organisations Gedanken machen und versuchen, die zugrunde liegenden Prinzipien, oder zumindest einen Teil davon, auch im eigenen Unternehmen zu etablieren – ganz im Sinne des nachhaltigen unternehmerischen Erfolgs. Wenn sich das Prinzip zukünftig weiter etabliert, können die aufgebrochenen Strukturen durch frische und dynamische ersetzt werden. Dadurch werden Unternehmen flexibler und können leichter und schneller auf sich verändernde Wettbewerbsbedingungen reagieren. Gerade für den deutschen Mittelstand ist diese Flexibilität ein guter Weg, international wettbewerbsfähig zu bleiben und weiterhin der Motor der deutschen und europäischen Wirtschaft zu sein.

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Markus Fost, MBA, ist Experte für E-Commerce, Online Geschäftsmodelle und Digitale Transformation mit einer breiten Erfahrung in den Feldern Strategie, Organisation, Corporate Finance und der operativen Restrukturierung.

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Markus Fost

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