Online und offline Spielwarenhandel in Deutschland – David gegen Goliath? 07.07.2021 | von Markus Fost Mehr erfahren FOSTEC & CompanyNewsOnline und offline Spielwarenhandel in Deutschland – David gegen Goliath? Management Summary Trotz kontinuierlich steigender Umsätze im deutschen Spielwarenhandel (seit 2012 beträgt der jährliche Zuwachs etwa 5%), ist der Spielwareneinzelhandel heute mehr denn je vom Aussterben bedroht. Dies wurde ebenso verstärkt durch die Corona bedingten Ladenschließungen. Gleichzeitig gewinnt der Onlinehandel immer mehr an Bedeutung. Das Online-Geschäft dominiert – allen voran und mit klarem Vorsprung Amazon. So kauften 2020 bereits 87% der Konsumenten bei Amazon. Es folgen myToys und eBay – bei denen immerhin ca. 45% der Konsumenten angeben häufiger Spielwaren einzukaufen. Hersteller müssen sich veränderten Gegebenheiten anpassen und einerseits ihre Marke auf online Handelsplattformen wie Amazon etablieren, andererseits aber den direkten Vertrieb aktiv angehen – über einen eigenen Webshop oder aber über eine eigene digitale Plattform, die den Kunden über das reine Shoppingerlebnis hinaus Interaktionsmöglichkeiten mit der Marke bietet, sie so langfristig bindet und zusätzliche Wertgenerierungsoptionen für den Markenhersteller schafft. Eines der bekanntesten und, mit einem Absatz von mehr als zwei Millionen Tonieboxen (Musikboxen) und über 20 Millionen Tonies (Hörfiguren) seit der Produkteinführung im Jahr 2016, sicherlich eines der erfolgreichsten Beispiele stellt dabei der Hörfigurenhersteller Boxine dar. 1. Status quo: Spielwarenmarkt in Deutschland Glänzende Kinderaugen, die auf eine Puppe im Schaufenster eines Spielwarengeschäfts starren, quengeliges Bitten, sogar Flehen, die Eltern mögen einem nun doch bitte das langersehnte und wohlverdiente Spielzeug kaufen. Wer kennt diese Situation nicht – aus den Erinnerungen an die eigene Kindheit oder aus wiederkehrenden Beobachtungen beim Stadtbummel – ein jeder unter uns hat schon einmal eine solche Situation miterleben dürfen. Doch werden die Spielwareneinzelhändler in Deutschland immer weniger. Zwischen 2015 und 2020 hat bereits jeder Vierte sein Geschäft an den Nagel gehängt – oder hängen müssen. Die Corona-Pandemie hat diesem Trend mit Sicherheit nicht positiv entgegenwirken können. Ganz im Gegenteil. Die Situation hat sich eher verschlechtert. Schließung der Läden, unzureichende Unterstützung durch den Staat und zuletzt sogar die bundesweite Notbremse. Indes profitierten die Onlinehändler umso mehr von der Schließung des stationären Handels. Die allgemeine Nachfrage nach Spielwaren steigt. Auch im Zuge der Corona-Pandemie erfreuten sich Gesellschaftsspiele, allen voran das Puzzle, größter Beliebtheit und gewannen dank Ausfall von Kinobesuchen, Grillpartys und Co. Einzug in die Abend- und Wochenendgestaltung. Auch das Interesse an Baukästen, wie beispielsweise von LEGO, stieg. Gerade für Technik-Freaks und Freizeitbastler stellen sie eine willkommene Herausforderung dar, mit der sich die persönliche Freizeit gut verbringen lässt. Dank mangelnder Freizeitalternativen im vergangenen und auch diesem Jahr dürfte diese nicht zu knapp ausgefallen sein und hat sich dabei bei den meisten sehr wahrscheinlich in vermehrtem Maße zuhause abgespielt. Insgesamt stieg der Umsatz mit Spielen und Spielwaren in Deutschland von 2012 bis 2020 jährlich im Durchschnitt um fünf Prozent (siehe Abbildung 1). Abbildung 1: Umsatz mit Spielen und Spielwaren in Deutschland Auffallend ist dabei die Verlagerung der Kauforte – vom stationären Handel hin zum Online-Handel, wie auch vom Fachhandel zu Verbrauchermärkten wie GALERIA Karstadt Kaufhof und Lebensmittel-Discountern (siehe Abbildung 2). Mit einem Einbruch von acht Prozent innerhalb eines Jahres (von 2019 auf 2020) im stationären Handel und einer klaren Verlagerung zum Onlinehandel (Internet) werden damit die Gründe für das schrittweise Aussterben des Spielwareneinzelhandels deutlich. Abbildung 2: Verteilung der Kauforte für Spielwaren in Deutschland 2. Konsumentenverhalten im deutschen Spielwarenmarkt Schaut man sich die Einkaufsorte für Spielwaren in Deutschland im Detail an, so fällt auf, dass vor allem online eine große Kluft zwischen den einzelnen Händlern besteht. Amazon ist mit knappen 90% klarer Spitzenreiter, mit großem Abstand folgen myToys und eBay, weit dahinter otto.de, lidl.de und weitere (siehe Abbildung 3). Gerade die großen Online-Marktplätze platzieren sich hier in den vorderen Rängen und spielen eine übergeordnete Rolle. Die kleineren Online-Geschäfte sehen sich somit einem enormen Wettbewerb gegenüber – die großen Spieler weisen tiefgreifende Erfahrungen, weitreichendes E-Commerce-Know-how sowie hohe digitale Visibilitäts-Kennzahlen auf. Stellt man dem die stationären Spielwaren-Einzelhandelsgeschäfte gegenüber, die keiner größeren Kette angehören, sind deutliche Parallelen zum Kampf David gegen Goliath zu erkennen. Abbildung 3: Online und offline Einkaufsorte für Spielzeuge Geht man im Konsumentenverhalten noch einen Schritt weiter zurück und betrachtet die Inspirations- und Informationsquellen, lassen sich diese schwerlich mit denen anderer Branchen vergleichen. So spielt im Spielwarenhandel die Mund-zu-Mund-Propaganda zwischen den Endnutzern, nämlich den Kindern selbst, eine zentrale Rolle (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Inspirations- und Informationsquellen für den Kauf von neuen Spielzeugen Insgesamt findet der Handel für Spielwaren heute zunehmend online statt – die Endkonsumenten, sprich die Kinder, wirken stark auf die Produktauswahl ein, über den Ort des Kaufes wird aber von den Käufern entschieden. Kleine, stationäre Einzelhändler mit einer oder nur wenigen Filialen sehen sich stationären Ketten wie Verbrauchermärkten, Drogerien und Lebensmittelmärkten, die oftmals zusätzlich aktive Online-Händler sind, aber auch den reinen Online-Giganten gegenüber. 3. Handlungsempfehlungen für Spielwarenhersteller Der Online-Handel bietet eine erhöhte Transparenz und Vergleichbarkeit, niedrige Preise sowie eine schnelle und bequeme Lieferung nach Hause. Um sich im Spielwarengeschäft langfristig über Wasser halten zu können, ist der Einstieg in das Online-Geschäft unabdingbar. Doch wie kann dieser gerade für kleinere Online-Händler aussehen? Hierfür gibt es verschiedene Handlungsmöglichkeiten, die sich keinesfalls gegenseitig ausschließen, sondern auch oder vielmehr gerade in paralleler Anwendung die größten Potentiale bieten. a) Online Marktplatz-Strategie In Anbetracht der vorherrschenden Marktstellung des Online-Giganten Amazon im Spielwarengeschäft (siehe Abbildung 3) ist natürlich der Verkauf auf Online-Marktplätzen eine vielversprechende Option, um ins Online-Geschäft einzusteigen. Neben Amazon stehen hier auch eBay, real und OTTO und myToys additiv zur Auswahl – um nur die die größten Marktplatz-Spieler Player im deutschen Online-Spielwarengeschäft zu nennen. Hier kann man von der digitalen Visibilität der Marktplätze, ihrer Reichweite und den gut ausgestalteten Online-Shopping-Funktionen profitieren. Doch sind die Kosten und Auflagen nicht zu unterschätzen. So ist auch hier ein gewisses Maß an Expertise und Erfahrung unerlässlich.Die konkreten Maßnahmen, die wir im Rahmen einer Marktplatz-Strategie vorschlagen, sowie weitere Empfehlungen und Hintergründe zu Amazon und weiteren relevanten digitalen Marktplätzen, können Sie gerne hier im Detail nachlesen: Online Marktplatz-Strategie b) Third Party eRetailer-Strategie Um sich nicht von wenigen großen Marktplätzen und insbesondere Amazon abhängig zu machen und möglichst umfänglich Potentiale auszuschöpfen, empfehlen wir über zusätzliche Online-Spieler ein entsprechendes Gegenwicht aufzubauen. Im Spielwarengeschäft eigenen sich dafür beispielsweise Händler wie Jako-O, DM oder Rossmann. Kriterien für die Auswahl passender Third Party eRetailer und die optimale Vorgehensweise für das Onboarding haben wir für Sie auf unserer Website näher erläutert: Third Party eRetailer-Strategie c) Direct-to-Consumer (D2C)-Strategie Neben dem Einstieg in das Online-Geschäft über bereits bestehende Plattformen ist auch der Aufbau eines eigenen Web-Shops denkbar. Es ermöglicht dem Kunden die eigene Marke bestmöglich durch eine exklusive Brand Experience näher zu bringen und ihn so direkt für sich zu gewinnen, ohne dabei neben ablenkenden Werbeanzeigen und Bannern andere Hersteller bestehen zu müssen oder begrenzte Darstellungsmöglichkeiten in Kauf nehmen zu müssen. Andererseits erfordert der Aufbau eines eigenen D2C-Vertriebes viel Zeit und ausgeprägtes, vielfältiges Knowhow – von der Erstellung der Website, was dank modernen E-Commerce Systemen wie Shopify, Shopware & Co. noch relativ einfach umzusetzen ist, über eine passende Online-Marketing-Strategie bis hin zu SEO-Maßnahmen und anderen Instrumenten zur Traffic-Generierung. Wer dies nicht selbst bewerkstelligen kann, muss finanzielle Mittel dafür bereitstellen – kontinuierlich – da viele Maßnahmen nicht einmalig, sondern regelmäßig durchzuführen sind. Gerade der Einkauf von Traffic ist meist sehr teuer und erfordert daher ein großzügiges Budget. Der Wettbewerb um die Sichtbarkeit ist im Online-Geschäft besonders hoch – die vorderen, sichtbaren Plätze und „Werbeflächen“, zum Beispiel bei Suchmaschinen wie Google oder auf diversen Social-Media-Kanälen, sind begrenzt, weshalb eine dedizierte Strategie sowie tiefgründiges Wissen und ausgeprägte Fähigkeiten in diesem Bereich erforderlich sind. Doch entschließt man sich diesen Schritt zu gehen, hat man die Möglichkeit den Kunden exklusiv – wie auf keinem anderen Kanal möglich – anzusprechen, ihn von der eigenen Marke zu überzeugen und ihn schließlich langfristig für sich zu gewinnen. Zudem liefert jeder Besuch des eigenen Webshops wertvolle Daten, die ausgewertet und zur weiteren Optimierung des digitalen Einkaufserlebnisses, aber auch zur Produktoptimierung genutzt werden können. Weitere Informationen zum Direct to Consumer (D2C)-Vertrieb sowie konkrete Handlungsschritte zum Aufbau einer direkten Verbindung zwischen Hersteller und Endkunden mit E-Commerce als Hauptvertriebskanal finden Sie hier: Direct-to-Consumer Strategie d) Digital Sales Center-Ansatz Erweitert man den reinen D2C-Ansatz, also quasi den Webshop, zu einer Plattform, einem sogenannten Digital Sales Center (siehe Abbildung 5), und bietet dem Kunden darüber möglichst viel Interaktionsfläche mit der eigenen Marke, schafft man sich nicht nur ein größeres Spielfeld, sondern damit einhergehend zusätzliche Wertschöpfungsoptionen und die Möglichkeit den Kunden, aber auch Dritte wie angrenzende Produkt- und Serviceanbieter, langfristig für sich zu gewinnen. So ist das Digital Sales Center in der Lage den Kunden entlang der gesamten Customer Journey, nicht nur bis zu seiner Kaufentscheidung, sondern eben auch über den Kauf hinaus, zu begleiten und ihn mittels verschiedener nachgelagerter Services und Angebote, wie beispielsweise eine Verlängerung der Garantie über ein Onlinekundenkonto oder den Erhalt ausgewählter, exklusiver Angebote und Inhalte wie Online-Tutorials und Wartung oder Updates over-the-air, nachhaltig an die eigene Marke zu binden. Abbildung 5: Digital Sales Center-Ansatz von FOSTEC & Company Einen dezidierten strategischen Ansatz zur Definition und dem Aufbau eines Digital Sales Centers finden Sie hier: Digital Sales Center-Ansatz Eine Digital Sales Center-Strategie erfolgreich umgesetzt hat beispielsweise der deutsche Kinderaudiosystem-Hersteller Boxine mit seiner Marke Tonies: So steht dem Kunden ein vollumfänglicher, nutzerfreundlicher und ansprechender Webshop zur Verfügung, der ebenso einen Blog und einen persönlichen Kundenbereich mit Login umfasst. Darüber hinaus bietet Boxine seine Produkte ebenso auf Amazon, myToys, Müller, Jako-O und Co an und schaffte es mit diesem Multi-Channel-Ansatz schließlich, die Marke optimal bei den Kunden zu platzieren und eine maximale Reichweite aufzubauen. Den Erfolg dieses strategischen Ansatzes bestätigen auch Boxines Umsätze und Verkaufszahlen. So machte das Unternehmen 2017, ein Jahr nach Produkteinführung, noch 17 Millionen Euro Umsatz, konnte sich aber im Jahr 2020 auf bereits über 100 Millionen Euro steigern. 4. Zusammenfassung und Ausblick Die Zukunft des Spielwarenhandels ist digital – nicht ausschließlich, aber doch zunehmend. Daher sollten sich Markenhersteller schnell an die Situation adaptieren. Geeignete Maßnahmen sind zum einen die Etablierung der Marke auf Amazon, zum anderen der Zugang zum Kunden direkt – sprich über einen direkten Vertriebsweg. Gerade der D2C (Direct to Consumer)-Vertrieb mit Erweiterung zu einer Plattform ermöglicht es Herstellern die Reichweite ihrer eigenen Marke auszubauen, dabei dem Kunden ein exklusives Markenerlebnis und die Interaktion mit der Marke zu ermöglichen und so schließlich die Unabhängigkeit von großen Marktplätzen wie Amazon zu verringern. So scheint trotz der heutigen vorherrschenden Marktstellung Amazon’s, der Kampf David gegen Goliath, nicht unbedingt aussichtslos zu sein. Doch eine Multi-Channel-Strategie inklusive Einbindung eines D2C-Ansatzes ist dabei unabdingbar. Je früher man damit beginnt, desto eher können Umsatzeinbrüche vermieden und die Reichweite der Marke gesteigert werden. Wir freuen uns auf Ihre Meinung, einen gemeinsamen Austausch und spannende Diskussionen – melden Sie sich gerne per E-Mail, LinkedIn oder auch telefonische bei uns. Für weitere Empfehlungen und dedizierten Strategien rund um die Themen E-Commerce, Digitalisierung und Transformation stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Seite. Ihr FOSTEC & Company-Team Ihre Anfrage an FOSTEC & Company Ihr Ansprechpartner Markus Fost, MBA, ist Experte für E-Commerce, Online Geschäftsmodelle und Digitale Transformation mit einer breiten Erfahrung in den Feldern Strategie, Organisation, Corporate Finance und der operativen Restrukturierung.Mehr erfahrenMarkus FostManaging PartnerMarkus Fost, MBA, ist Experte für E-Commerce, Online Geschäftsmodelle und Digitale Transformation mit einer breiten Erfahrung in den Feldern Strategie, Organisation, Corporate Finance und der operativen Restrukturierung.markus.fost@fostec.comTelefon: +49 (0) 711 995857-10Mobil: +49 (0) 170 8057143Fax: +49 (0) 711 995857-99LinkedInXINGMehr erfahren