Mit dem Start von Amazon Business in Europa und dem damit verbundenen Vordrängen von online B2B Marktplätzen beschleunigt sich die Disruption bestehender B2B Geschäftsmodelle. Getrieben vom bequemen, medienbruchfreien B2C-Kauferlebnis wächst auch der Anspruch der B2B-Einkäufer. Je nach Branche ergeben sich daraus für Hersteller und Handel unterschiedliche Chancen & Risiken einer rechtzeitigen bzw. verschlafenen B2B-Marktplatzstrategie.

Nach Expertenschätzungen erreicht der online B2B Markt im Jahre 2020 ein Volumen von 6.700 Mrd. USD. Zu diesem Zeitpunkt wird der B2B Markt damit mehr als die doppelte Größe des online B2C Marktes (3.200 Mrd. USD in 2020) haben.[1] Aber nicht nur das Marktvolumen ist hoch attraktiv, auch die zu erwartende Wachstumsdynamik: Im Vergleich zu einem Onlineanteil von ca. 12-15% im B2C Markt, liegt der Onlineanteil im B2B Markt aktuell nur bei ca. 2-3%. Das verspricht eine dynamische, anhaltende Kanalverschiebung von Offline zu Online und stellt damit die erste Komponente eines „BIG SHIFT“ im B2B Markt dar.

[1] Frost & Sullivan, 2015


Abbildung 1: Online B2B vs. B2C Umsatz in 2020 (Frost & Sullivan, 2015)

Allerdings gibt es im Unterschied zum B2C Markt einige spezifische B2B-Herausforderungen die es zu meistern gilt. Die Komplexität der B2B Produkt- und Servicevielfalt sowie der damit verbundenen Anbieter erfordert umfassende, aber einfach zu nutzende Lösungen. Motiviert durch ihre B2C-Erfahrungen vom privaten Onlineshopping fordern immer mehr B2B-Einkäufer ein vergleichbar bequemes geschäftliches Einkaufserlebnis.

Bisher ist der europäische B2B online Markt stark fragmentiert und besteht weitestgehend aus Nischenanbietern sowie Adresslisten und Branchenverzeichnissen, d.h. dominante Marktführer – vor allem mit einem dynamischen Ökosystem – fehlen. Überhaupt zeigen die Akteure im B2B-Handel Defizite bei der Digitalisierung; häufig fehlt eine systematische Digitalisierungsstrategie Vor diesem Hintergrund sowie der erwähnten Marktattraktivität und dem beschriebenen Bedarf einer „Consumerization“ des B2B-Einkaufserlebnisses ist es wenig überraschend, dass gerade erfahrene B2C-Spieler wie Amazon mit Amazon Business oder eBay mit eBay Business Supply zunehmend auch in den B2B Markt einsteigen. Aber auch andere Akteure wie etwa der globale Marktplatz Alibaba.com, mercateo, WerLiefertWas und EuroPages sind im Markt aktiv.

Abbildung 2: Führende B2B Marktplätze und deren Produktfokus

Beispiel Amazon Business

Seit dem 6. Dezember 2016 ist etwa Amazon Business unter amazon.de/business auch in Deutschland online. Mit mehr als 100 Millionen Produkten für Geschäftskunden setzt Amazon im B2B, wie beim erfolgreichen B2C, auf eine Long Tail Strategie. Das Produktsortiment spricht eine breite Zielgruppe an: Für Restaurants, Labore, Offices und viele mehr gibt es passende Angebote. Alleine für Handwerker und Hersteller sind aktuell über 5 Millionen Artikel gelistet. Das Spektrum umfasst Schmierstoffe, Werkzeuge, Schutzbrillen, Lacke und Farben, etc. Möglich machen das vor allem die registrierten Händler die ihre Produkte über die Marktplatz-Plattform anbieten können. Getreu dem Werbeslogan „Everything you love about Amazon. For work.“ bietet Amazon Business für Käufer und Verkäufer den gewohnten Komfort der B2C-Plattform. Abbildung 3 zeigt die Evolutionsstufe des E-Commerce Reifegrads in verschiedenen Industrien auf einem Kontinuum hinsichtlich der Eignung ihres Produktportfolios für die verschiedene E-Commerce Kanäle. Dieses Kontinuum indiziert gleichzeitig das Disruptionspotential bzw. bei fehlender Strategie die Gefahr für die jeweilige Produktkategorie.

Abbildung 3: Evolution des E-Commerce Reifegrads verschiedener Industrien

Auf der B2B-Version wird das Ganze um geschäftskundenspezifische Funktionen wie beispielsweise Rechnungskauf, Multi-User Konten oder die Möglichkeit zum Anzeigen von Netto-Preisen erweitert. Amazon Business lässt sich ferner leicht in führende Einkaufssysteme integrieren. Unterstützt werden derzeit unter anderem SAP SRM, SQIQUEST, Oracle Fusion, iProcure sowie weitere Systeme.

Bedürfnisse B2B-Onlinekunden

Amazon überträgt weite Teile seiner bewährten B2C-Funktionalität auf seine B2B-Plattform und bettet die B2B Struktur vollständig im bestehenden Amazon Ökosystem mit ein. Doch was sind eigentlich die Bedürfnisse der B2B-Onlinekunden, d.h. der Verkäufer (sell-side) und der Käufer (buy-side)? Laut einer Studie zum Online-Kaufverhalten im B2B-E-Commerce sind Käuferanfragen das relevanteste Kriterium warum Verkäufer ihre Waren online anbieten. Hauptsächliche Herausforderung scheint dabei bisher die Komplexität des Onlineverkaufs von Produkten und Services zu sein.[1] Diesbezüglich scheinen Plattformen wie Amazon Business – zumindest für standardisierte Produkte im niedrigeren Preissegment – Abhilfe zu bieten. Der bereits hohe Digitalisierungsgrad der Customer Journey zeigt sich in den Befragungsergebnissen der Käufer: Demnach sind Online Suchmaschinen dominanter Startpunkt bei der Suche nach B2B Einkaufsoptionen. Entsprechend wichtig ist eine ausreichende Online-Visibilität für die B2B Verkäufer. Die drei Hauptgründe für online Einkäufe sind eine verbesserte Usability sowie eine breitere Produktauswahl und geringere Kosten.[2] Das B2B Einkäufer zunehmend B2C Ansprüche an ihr „digitales Einkaufserlebnis“ stellen ist wenig überraschend. Aus Usability-Perspektive geht es um „Business-to-People“, d.h. es sind in beiden Fällen die gleichen Menschen, egal, ob sie gerade privat shoppen oder für ihr Geschäft einkaufen. Entsprechend ähnlich sind die Ansprüche an das digitale Einkaufserlebnis.

Übergreifend ergeben sich die in Abbildung 4 dargestellten Verkäufer- und Käuferbedürfnisse entlang einer typischen B2B E-Commerce Wertschöpfungskette. Die Relevanz der einzelnen Wertschöpfungsstufen variiert dabei aber in Abhängigkeit der Produktkategorie. Bei standardisierten Produkten im niedrigeren Preissegment ist eine volle Abdeckung der Wertschöpfungskette durch Onlineshops und Marktplätze klare Tendenz. Dahingegen ist bei komplexeren, hochpreisigen Investitionsgütern ein Medienbruch – z.B. vor dem tatsächlichen Kauf – eher wahrscheinlich. Beispielsweise wird eine Maschine im 7-stelligem Preissegment wohl – wenn überhaupt – nur selten ohne vorherige Verhandlung, d.h. Medienbruch, per „one-click-shopping“ erstanden. Hier würde sich vermutlich immer eine direkte – meist persönliche – Verhandlung zwischenschieben.

[1] ibi, Votum, Online-Kaufverhalten im B2B-E-Commerce (2015)

[2] ibi, Votum, Online-Kaufverhalten im B2B-E-Commerce (2015)

Abbildung 4: Käufer- und Verkäuferbedürfnisse entlang der B2B-E-Commerce-Wertschöpfungskette

Basierend auf der B2B E-Commerce Wertschöpfungskette sind vor allem die Handelsformate und Geschäftsmodelle erfolgreich, welche die beschriebenen Käufer- und Verkäuferbedürfnisse bestmöglich befriedigen. Übergreifend werben die Marktplatz-Betreiber gegenüber Einkäufern vor allem mit erhöhter Markttransparenz und einer besseren Usability und Service. Durch den Markteintritt namhafter B2C-Player (Amazon Business und eBay Business Supply) steigt der Digitalisierungsdruck auf die B2B-Brache nun merklich. Insgesamt scheinen einzelne Marktteilnehmer auf die neuen Wettbewerber durch eigene Onlineaktivitäten besser vorbereitet zu sein als andere. Kleine und mittelständische Anbieter können sogar durch Erweiterung ihres Kundenkreises von der Plattform profitieren. Kritischer sieht es bei den großen B2B-Vertretern mit „Brick-and-Mortar“ Fokus in ihrer Distributionsstrategie aus. Für Letztere besteht dringender Handlungsbedarf im Aufbau des Onlinegeschäfts. Die strategische Herausforderung ist es, das Onlinegeschäft neben ihrem kostenintensiven Direktvertrieb und dem kapitalintensiven Niederlassungsgeschäft zu positionieren.

Gerade der klassische Großhandel ist von den wachsenden online B2B Marktplätzen und der damit einhergehenden Disintermediation, d.h. dem Überspringen von Zwischenstufen auf dem Weg eines Produktes vom Hersteller zum Käufer, besonders stark bedroht. Die zu erwartende Entwicklung ist vergleichbar mit der durch Amazon getriebenen Veränderung auf dem Buchmarkt: Buchgroßhändler und Buchläden wurden bei dem Weg der Publikation vom Verlag zu den Lesern schlichtweg übersprungen. Insofern überrascht es kaum, dass laut einer Studie von Roland Berger und dem Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) 54 Prozent der deutschen Großhändler digitale Plattformen als größte Gefahr für das traditionelle Geschäftsmodell sehen.[1]

Die Disintermediation und das damit gemeinte Vordrängen von Online Marktplätzen wird erwartungsgemäß zu substanziellen Verschiebungen der Marktanteile führen und so massive Auswirkungen auf die B2B Branche haben. Neben der zuvor beschriebenen Verschiebung vom offline- zum online Kanal, stellt diese Verschiebung von Marktanteilen die zweite Komponente eines „BIG SHIFT“ im B2B Markt dar. Um sich dieser Marktentwicklung zu stellen und möglichst von ihr zu profitieren sollten B2B Hersteller und Händler systematische E-Commerce Strategien entwickeln. Zielsetzung dabei sollte es sein sich in dem dynamischen Marktumfeld einen möglichst nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu sichern.

Für welche Branchen empfehlen sich B2B-Online-Marktplätze?

Grundsätzlich ist branchenübergreifend eine zunehmende Digitalisierung der Customer Journey zu beobachten, welche die Relevanz von online Marktplätzen erhöht. Wie weit diese fortgeschritten ist, sollte aber für den Einzelfall genauer untersucht werden – eine absolute Hygieneübung im Rahmen einer systematischen E-Commerce-Strategie. Prinzipiell lässt sich die Relevanz von online Marktplätzen aber nach Produktkategorie einordnen. Geht man in einer engeren Definition davon aus, dass auf „online Marktplätzen“ eine tatsächliche Kauftransaktion stattfindet, eigenen sich aktuell vor allem standardisierte Produkte im geringeren Preissegment, d.h. vor allem Commodities sowie Produkte aus dem Wartungs-, Reparatur-, Betriebsbereich (MRO). Beispiele für online Marktplätze in diesem Bereich sind etwa Amazon Business und Mercateo. Damit verbunden sind diese transaktionsgetriebenen online Marktplätze vor allem relevant für Hersteller und Händler von Commodities in den Bereichen (Automations)-Senorik, Baugewerbe, Chemie, Elektro, Industrie, Handwerk und MRO.

Fasst man die Definition – so wie einige der Plattformbetreiber – etwas weiter, kann man unter „online Marktplätzen“ auch Folgendes verstehen: Online Verzeichnisse sowie online Plattformen über die Angebotsanfragen verschickt werden können, aber keine tatsächlichen Kauftransaktionen ausgeführt werden. Diese nicht-transaktionalen online Marktplätze eigenen sich auch für komplexe, hochpreisige Investitionsgüter. Hintergrund ist, dass sich auch für diese Produkte inzwischen ein Großteil der Customer Journey online abspielt, d.h. B2B-Anbieter müssen auch in den der eigentlichen Transaktion vorgelagerten Phasen (Suche und Auswahl) digital möglichst visibel sein und Informationsbedürfnisse potentieller Kunden befriedigen. Beispiele für „online Marktplätze“ in diesem Bereich sind Alibaba.com für eine globale Ausrichtung und WerLiefertWas mit Schwerpunkt Europa. Relevant sind diese nicht-transaktionalen Plattformen vor allem für Hersteller und Händler von komplexen, hochpreisigen Investitionsgüter in den Bereichen Agrarwirtschaft, Baugewerbe und Maschinenbau.

Welche Relevanz B2B online Marktplätze für den einzelnen Hersteller und Händler wirklich haben und wie man diese systematisch nutzen kann, muss im Rahmen einer ganzheitlichen Strategie bestimmt werden. Notwendige erste Schritte dazu sind die Bestimmung des eigenen Digitalisierungsreifegrades im Vergleich zum Wettbewerb und der Branche, sowie eine detaillierte Customer Journey Analyse der jeweiligen Zielgruppe: Bei der Bestimmung des Digitalisierungsreifegrades wird entlang verschiedener Dimensionen (u.a. Strategie, Kunden, Wettbewerber, Organisation, Technologie) analysiert inwieweit Handlungsbedarf zur Digitalisierung besteht und wo sich dieser am meisten rentiert. Das schafft Transparenz und ein einheitliches Verständnis zum digitalen „Status quo“. Die Customer Journey Analyse gibt Auskunft über das Beschaffungsverhalten der B2B Kunden entlang der gesamten Kaufphase über alle Touchpoints mit einer Marke hinweg. Abbildung 5 zeigt eine schematische B2B Customer Journey.

[1] http://www.bga.de/fileadmin/user_upload/pressebereich_2/PDFs_Pressemeldungen/PM_Digitalisierung_Grosshandel_final_041116_D.pdf

Abbildung 5: Vereinfachte Darstellung einer B2B-Customer-Journey

Wichtig im Rahmen der Customer Journey Analyse ist, die Zielgruppe in Altersschichten zu segmentieren, um analysieren zu können zu welchem Zeitpunkt der „Tsunami“ der Digital Natives in dem jeweiligen B2B Produktsegment in Entscheider-Positionen gelangen. Erfahrungsgemäß haben Digital Natives eine sehr online-lastige Customer Journey und treiben „THE BIG SHIFT“ im B2B-Segment maßgeblich voran.

Sind mit Digitalisierungsreifegrades und Customer Journey Analysis die Basis gelegt, kann mit der Entwicklung der eigentlichen Strategie begonnen werden. Dabei werden dann konkrete, individuelle Maßnahmen abgeleitet und in einer ganzheitlichen, systematischen Digitalisierungs- bzw. E-Commerce Strategie zusammengefasst.

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Markus Fost, MBA, ist Experte für E-Commerce, Online Geschäftsmodelle und Digitale Transformation mit einer breiten Erfahrung in den Feldern Strategie, Organisation, Corporate Finance und der operativen Restrukturierung.

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